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Das Wetter bestimmt die Richtung

2.8. 2023 Knebelbucht - Grenå 40,9sm

Die Nacht bleibt absolut ruhig und windstill, es ist ein Traum, hier zu ankern. Da kann man ganz ruhig und tief schlafen. Unter Motor tuckern wir am nächsten Morgen aus der Bucht. Wenig später können wir die Segel setzen, Ziel Dänemarks “Nasenspitze” Grenå. Das Segeln ist heute einfach nur gut und Wind und Wetter sind auf unserer Seite. Es ist sonnig, der Wind kommt mit 10-15 kn aus Süd und bewegt uns gemütlich in den Norden. Unterwegs sehe ich auf dem AIS auf einmal zwei bekannte Boote, eins aus Marina Minde und die Hedonia aus Travemünde, unsere Liegeplatznachbarn aus dem Winter. Wir segeln alle parallel zur Küste, mal sehen, wer als erster im Hafen ist. Hedonia ist auch eine Ovni, eine 450, der Nachfolger von unser 445. Wir versuchen, sie anzufunken, aber keiner reagiert. Später erfahren wir, dass auch sie versucht haben, uns anzufunken, wir haben aber auch nichts gehört. Seltsam, irgendwas stimmt da wohl nicht. Das sollten wir überprüfen, da wir normalerweise Funkrufe in der Nähe alle mitbekommen.

Erst kurz vor dem Hafen in Grenå holen wir die Segel ein und fahren in den Hafen. Das Boot aus Marina Minde ist schon da, Hedonia nicht. Aber nein, wir sind ja auch nicht im Regattamodus 😉. Uns gelingt diesmal ein gutes, sicheres Manöver in die Box mit vielen Leinen: Springs und Heckleinen. Es dauert ein wenig, aber es ist absolut sicher, gerade bei Seitenwind. Am Steg stehen freundliche Jugendliche, die geduldig warten, bis ich ihnen die Vorleinen überwerfe. So macht das Spaß!

Kurz nach uns fährt die Hedonia ein und wir gehen irgendwann hinüber. Ein gemeinsames Anlegerbier bzw. Anlegercocktail macht den guten Segeltag perfekt, dazu noch ein wenig Plauderei mit Andrea und Carsten, die sich auf den Weg nach Schweden machen wollen. Solche Zufallstreffen machen wirklich Spaß.

Ein gemütlicher Abendspaziergang mit wunderbarem Licht rundet den Tag ab.

3.8.2023 Grenå

In der Nacht regnet es wie verrückt, so viel Wasser von oben lässt die eine oder andere Fensterdichtung aufgeben. Wieder etwas zu reparieren… Da wir wegen des Funkgeräts unsicher waren, haben wir es heute morgen ausnahmsweise auch mal im Hafen an und hören auf einmal einen (englischen) Notruf von einem (ziemlich sicher deutschen) Segler, dass ein Fischerboot Wasser genommen habe, sich also im Sinken befand und zwei Personen im Wasser seien. Ohne Rettungswesten. Ein Rettungsboot ist zum Glück schnell in der Nähe und wir sehen es schon ein paar Minuten später in den Hafen einlaufen. Später sehen wir im Hafen einen kleine Menschenmenge an einem Bootshäuschen stehen und zwei Personen in Decken eingemummelt mit Kaffeebechern (mit Rum?) in der Hand. Wir vermuten, dass es die schiffbrüchigen Fischer waren, also alles noch mal gut gegangen!

Carsten und Andrea haben eine unruhige Nacht, weil sie längsseits an einem anderen Schiff angelegt haben und beschließen, in einen anderen Hafen weiter zu segeln. Wir wollen heute in Grenå bleiben, da ich mir in den Kopf gesetzt habe, endlich das Kattegatcenteret zu besichtigen. Wir waren 2017 schon einmal in Grenå, auf unserem Weg nach Skagen, aber das war nur ein kurzer Zwischenstopp, da hatten wir keine Zeit zum Zoobesuch. Im Kattegatcenteret leben Seehunde, Haie, Rochen und viele andere Meeresbewohner. Gerade die Seehunde sind besonders putzig, aber auch Rochen, die sich streicheln lassen und viele Informationen über das Leben im Meer in diesen Gewässern machen den Vormittag zu einem schönen Erlebnis. Zwar ist es recht voll, da bei dem Wetter viele Familien mit Kindern hier sind, Strandwetter ist halt gerade nicht. Aber wir sehen alles, was wir sehen wollen, daher macht uns das Gewusel nichts aus.

Nachmittags starten wir hochmotiviert zu einem 10km Lauf, der uns erst an den Strand, dann durch Wald und wunderschöne Heidelandschaft führt. Danach sind wir völlig erledigt, müssen aber leider noch einkaufen. Ein bisschen zu erschöpft mache ich noch Kartoffelsalat, wir schauen ein bisschen Hafenkino und müssen dann schnell in die Koje.

4.8.2023 Grenå - Ballen 44,1sm

Das Wetter ist der Boss und der hat immer Recht. Für uns Segler gibt es zwei Faktoren, die darüber entscheiden, ob wir ein gesetztes Ziel erreichen: das Wetter und die Zeit. Wenn man genug Zeit hat, um das richtige Wetter abzuwarten, kommt man überall hin. Wenn die Zeit drängt, bleibt einem manchmal keine Wahl und man muss umplanen. So geht es uns heute leider auch, unser Ziel Anholt liegt in nur 27 sm Entfernung, aber die Wettervorhersage gibt uns den Rat, sofort wieder Richtung Süden zu segeln. Ein ordentlicher Sommersturm kündigt sich für Anfang nächster Woche an und diesen möchten wir doch lieber in einem gut vor Westwind geschützten Hafen verbringen. Wir kämen zwar heute noch sicher nach Anholt, aber dort “eingeweht” zu werden, wäre sehr spannend, da der Hafen direkt an der Westküste liegt. Wohl gut vor Schwell geschützt durch lange Wellenbrecher vor der Hafeneinfahrt, aber der Wind kann erbarmungslos zuschlagen. Und dann hängt man, wie wir auch von anderen Seglern hören, durchaus mal 5-6 Tage mitten im Kattegat fest. Da wiederum kommt nun der Zeitfaktor ins Spiel, der Urlaub ist ja leider wie immer viel zu kurz…

So wie es im Moment in allen Wettermodellen aussieht, kann uns der Sturm selbst an der Küste von Jütland 2-3 Tage festhalten. Also lassen wir traurig von dem für dieses Jahr gesetzten Ziel ab und brechen auf Richtung Süden, Ziel Nyborg. Die Stadt kennen wir ja aus dem letzten Jahr, der Hafen ist groß und sehr gut geschützt durch die Häuser.

So richtig wenig Wind ist auch heute schon nicht, 15-20kn, in Böen deutlich mehr und noch viel zu sehr aus Süd, so dass wir hoch am Wind im 2. Reff im Großsegel fahren müssen. Eine merkwürdige, ganz kurze, fiese Welle lässt das Boot immer wieder mit einem Krachen ins Wasser tauchen. Auch wenn ich weiß, dass nichts passieren kann ist die erste Stunde unangenehm, später gewöhnt man sich daran, erträgt es eine Weile ganz gut und irgendwann hat man doch die Nase voll! Als wir dann noch wenden müssen, weil wir unser Ziel Samsö nicht ganz erreichen und uns der Strom aus dem Großen Belt so richtig versetzt und wir auf unserem alten Kurs nahezu rückwärts fahren, reicht es. Segel runter, Motor an. Direkter Kurs auf Ballen/Samsø, bitte!

Wie zu erwarten war, ist der kleine Hafen dort voll, wir könnten höchstens in 4. Reihe im Päckchen festmachen, oder längsseits einer großen Motoryacht. Diese ist aber so hoch, wir kämen gar nicht darüber an Land. Dafür ist uns die Hafengebühr zu schade und das Wetter am Ende des Tages zu gut, so dass wir vor dem Hafen ankern. Das Land schützt uns vor dem Westwind, der Anker hält. Endlich Ruhe! Denkste… An Land sind schwere Erntemaschinen unterwegs, die bis kurz vor Sonnenuntergang einen ziemlichen Lärm machen. Wir tuckern noch kurz mit Schlauchi an Land, um die durchgerüttelten Knochen ein wenig zu lockern. Ich hab höllische Nackenschmerzen, die den Tag noch anstrengender gemacht haben. Endlich in der Koje stellen wir fest, dass doch ordentlich Schwell in der Bucht herrscht, sei es durch die Fähre oder die durch den Samsø Belt fahrenden großen Pötte. Es klirrt und klappert an Bord, wir schlafen erst spät ein, eine in der Bilge gelagerte Flasche Bier ist tatsächlich kaputtgegangen, stellen wir am nächsten Morgen fest. Bisschen Schwund ist immer…

5.8.2023 Ballen - Romsoe 26,3sm

Am Morgen könnte man fast meinen, es ist Sommer und wir sind in der Karibik. Die Farben des Meeres sind einfach unbeschreiblich hier. Dennoch wollen wir weiter Richtung Süden, die Wettermodelle lassen nicht vom Sturm ab. Auch wenn wir nach wie vor hoffen, dass der Sturm einfach verschoben wird. Als wir den Anker hochholen wollen, versagt die Ankerwinsch. Nichts geht mehr. Mmmh, was ist das denn jetzt für ein Mist? Die Fernbedienung gibt keinen Mucks mehr von sich, aber der kabelgebundene Antrieb lässt sich auch nicht aktivieren. Da ist wohl bei der Inbetriebnahme bzw. Überprüfung des Bugstrahlruders was schief gegangen. Unsere elektrische Winsch, die zum Hissen des Großsegels sehr hilfreich ist, geht nämlich auch nicht mehr…

Uns bleibt nichts anderes übrig, als doch noch mal an Land zu tuckern und im Brugsen Batterien für die Fernbedienung zu kaufen. Zum Glück ist der kleine Laden am Hafen gut sortiert und wir finden die notwendigen Batterien. Das Gute daran ist, dass wir so schönes frisches Brot bekommen.

Mit den neuen Batterien funktioniert die Fernbedienung für die Ankerwinsch wieder und wir lichten den Anker. Die Segelei läuft heute gut, nur irgendwann müssen wir wieder gegen die Strömung kreuzen, es macht einfach wenig Sinn. Die paar wenigen Seemeilen bis zum geplanten Ankerplatz fahren wir mit Motor. Die kleine Insel Romsø im Großen Belt liegt kurz vor der Bucht von Kerteminde, in der Ferne können wir schon die Store Belt Brücke sehen. Die Insel ist unbewohnt, nur im Sommer sind Feriengäste in ein paar alten Bauernhäusern untergebracht. Schon vom Ankerplatz aus können wir Hirsche am Uferrand grasen sehen. Es bleibt noch eine Stunde bis zum Sonnenuntergang und natürlich wollen wir noch einen Rundgang machen. Die Insel ist so klein, dass wir es innerhalb der Stunde schaffen müssten! Überall leben auch hier Hirsche und ich glaube, meinen Augen nicht zu trauen: ein paar Albinos sind dabei. Schneeweiße Hirsche, wunderschön! Ich hätte nie geahnt, dass es sowas gibt.

Am kleinen Leuchtturm, der zu ein paar alten Häusern gehört, treffen wir tatsächlich auf Menschen, eine Familie macht Feuer und trinkt Wein. Wir werden spontan gleich dazu eingeladen, aber lehnen freundlich ab, denn wir wollen ja noch im Hellen die Insel umrunden, um sicher wieder an Bord zu kommen. Die ältere Dame erzählt, dass sie das Haus mit ein paar Familien zusammen für 50 Jahre als Ferienhaus gemietet haben und sie kommen in den Ferien und an den Wochenenden hier her. “Nur wir und die vielen Tiere!” Außer den Hirschen sehen wir noch ein paar Austernfischer, meine Lieblingsseevögel seit unserer Norwegenreise. Mit ihren roten Schnäbeln, dem wunderschönen schwarz-weißem Gefieder und lautem Geschrei fallen sie sofort auf.

Genau das sind die Momente, für die wir Segler so brennen! An Orte zu gelangen, die kaum jemand kennt. Orte, die mit dem Auto nicht zu erreichen sind. Einsame Inseln und das sogar schon hier in der westlichen Ostsee. Dicht neben einer viel befahrenen Wasserstraße, in der die Hälfte des Schiffsverkehrs zwischen Kattegat und Ostsee unterwegs ist. Auch wenn mir gestern bei den fiesen Wellen herausgerutscht ist, ob wir uns nicht besser ein Wohnmobil kaufen wollen, so sind das doch immer nur kurze Episoden, über die man später lacht. Das hier, die Ruhe und die Einsamkeit am Ankerplatz, die Natur pur und weitestgehend unberührt. Das lieben wir und dafür lohnt es sich, die sch… Momente durchzustehen! Abgesehen davon, dass man diese auch hinterher mit Stolz betrachtet, was man geschafft hat. Hinzu kommt, dass wir unserem Anker mittlerweile sehr vertrauen, was bei der Najad leider nicht so der Fall war. So trauen wir uns immer öfter an diese (fast) unberührten Stellen. ⚓️

6.8.2023 Romsoe - Nyborg 24,5sm

Das heutige Ziel ist nun Nyborg, der sichere Hafen für den Sturm. Die Nacht war wieder recht bewegt, die dicken Pötte im großen Belt machen nunmal Welle. Wir haben zwar gut geschlafen, aber ich freue mich auch wieder auf eine Nacht ohne Gewackel. Der Sturm soll in der kommenden Nacht so langsam Fahrt aufnehmen, mal schauen, ob die Wettermodelle recht haben. Ruhig segeln wir in Richtung Store Belt Brücke, wohlwissend, dass dort die Strömung manchmal tückisch sein kann. Und genauso ist es auch, kurz vor den Brückenpfeilern haben wir auf einmal 3,5kn Strömung gegen uns. Mit nur noch 1,5kn Fahrt wird uns mulmig, daher nehmen wir den Motor zu Hilfe, bis wir wieder frei von den Pfeilern sind. In den Bildern sieht man, wie das Wasser um die Pfeiler herum verwirbelt wird.

Ich recherchiere, dass die Brücke massive Auswirkungen auf das Ökosystem der Ostsee hat. Früher konnte das salzigere und sauerstoffhaltige Wasser ungehindert aus der Nordsee in den tiefen Regionen in die Ostsee strömen, das weniger salzige und leichtere Wasser aus dem Süden floss an der Oberfläche nach Norden ab. Seit dem Bau der Brücke 1998 verwirbeln sich die beiden Wasserschichten, das hereinströmende Wasser in die Ostsee wird langsamer und weniger Sauerstoff gelangt in die Ostsee, was Folgen für Fauna und Flora hat. Also unberührt ist hier dann wohl doch nichts, aber oberflächlich gesehen fühlt es sich zumindest hier und da so an.

Nach der Brücke können wir vor dem Wind noch ein wenig Schmetterling segeln (je ein Segel zu jeder Seite), was ein wenig Feingefühl beim Steuern erfordert. Macht aber Spaß! In Nyborg angekommen, finden wir genau da, wo ich hinwollte, einen freien Anlegeplatz in der hintersten Ecke des Hafens. Geschützter geht es nicht. Mein Skipper zirkelt uns sicher dorthin, nette Leute an Land nehmen die Leinen entgegen und wir liegen sicher. Nun kann der Sturm kommen!

Wie immer gibt es die berühmte Ruhe vor dem Sturm. Irgendwann rührt sich kein Lüftchen mehr und man ist geneigt, zu glauben, dass all die Vorhersagen gar nicht sein können. Wir werden sehen. Die Wasservögel, Kormorane und Enten sind auch sehr ruhig und lassen mich nah an sich herankommen. Ob sie wohl ahnen, was kommt…? 💨

Ziemlich spät am Abend kommt noch ein dänisches Boot, eine große X-Yacht, in den Hafen und legt an uns an. Ein nettes Paar ist an Bord, die beiden sind in einem durch von Anholt nach Nyborg gesegelt! Über 100sm, sie wollten auch nicht mehrere Tage dort festhängen. Wir plaudern ein bisschen, aber die beiden sind müde. Vermutlich werden wir die nächsten Tage noch Zeit genug zum Reden haben…

⛵️