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Wattenmeer und Erinnerungen

12.8.2021 Blankenberge - Scheveningen 69,2sm

Am Morgen hat sich meine Laune beruhigt, ich wappne mit mit Münzen (immer noch ein bisschen fassungslos, aber was will man machen?) und wir versuchen im zweiten Anlauf das Duschhaus zu stürmen. Wundersamer Weise funktioniert jetzt auch der QR Code von gestern Abend. Die Dusche ist dann durchaus gut. Warm, sauber, so wie es sein sollte. Wir philosophieren aber noch länger vor uns hin, ob es nicht kostengünstiger ist, einfach 2 Euro auf die Hafengebühr drauf zu legen anstatt einen fehleranfälligen Warmwasser-Automaten zu betreiben…?

Die Fahrt Richtung Niederlande ist ruhig, sonnig und ohne Wind. Die Häfen in der Schelde sind bestimmt wunderschön, aber alle nur über Schleusen zu erreichen. Das ist uns zu zeitaufwändig und wir fahren soweit es geht Richtung Norden. Irgendwann landet ein blinder Passagier an Bord, oben auf den Solarpanels, ein Täubchen, das eine Pause einlegt. Wo es wohl herkommt? Es begleitet uns einige Seemeilen und fliegt dann wieder auf und davon. Weitere tierische Begleiter schwimmen mir vor die Linse und viele, auf Reede liegende Frachter. Die Ausfahrt von Rotterdam, Hoek van Holland, ist nicht stark befahren, was uns wundert. Den Haag gleitet an uns vorbei, bis wir irgendwann die Häuser von Scheveningen erblicken. Hier machen wir Halt.

In Scheveningen erwartet uns ein riesiger Hafen und wir sind optimistisch, einen guten Platz zu finden. Da kommt der Hafenmeister in einem Schlauchboot zu uns und fragt, wie lange wir bleiben wollen. Eine Nacht, vielleicht zwei… Okay, dann kommt mal mit. Wir fahren ihm hinterher, lassen freie Boxen rechts und links liegen, wundern uns, weil es immer enger und voller wird und schlussendlich zeigt er auf ein ca. 45 Fuß langes Segelboot in der hintersten Ecke: an die könnt ihr längsseits gehen! Auweia, da kommen wir nur rückwärts rein, drehen wäre unmöglich. Ich wappne mich mit einem laufenden Fender, Michi und Bernd besprechen in Ruhe jeden Schritt zum Anlegen. Zu unserem großen Glück ist es gerade absolut windstill, so dass wir wirklich in aller Ruhe rückwärts fahren können. Und es funktioniert reibungslos! Ich bin megastolz auf meinen Skipper und wir freuen uns über das Anlegerbier in niederländischen Gewässern. Im Hafen ist überall Musik und Party, aber wir halten uns zurück, Corona ist noch nicht verschwunden…!

13.8.2021 Scheveningen - Den Helder 60,1sm

Am Morgen ist es mein dringendes Bedürfnis, holländische Leckereien einzukaufen. Vla, Schokostreusel, Tee und anderes wandert in den Einkaufswagen. Yammi 😋!

Der Wind hat aufgefrischt, wir machen uns dennoch auf den Weg. Das Ausparken klappt problemlos, wir lassen die gemütliche Ecke ohne Probleme hinter uns. Auf der Nordsee erwartet uns heute ein mächtiges Geschaukel, aber niemand wird grün. Von Seekrankheit sind wir bisher zum Glück verschont geblieben! Wir steuern Den Helder an, den Eingangshafen ins Wattenmeer. Das ist ein riesiger Militärhafen, an dessen Eingang sich gleich ein kleiner Yachthafen befindet. Dort ruft uns der Hafenmeister von weitem zu, dass wir gerne an der Tankstelle anlegen können. Er hat uns wohl schon eine Weile auf dem AIS beobachtet und wundert sich, dass wir Deutsch sprechen, schließlich sind im AIS noch der französische Name des Schiffes hinterlegt. Wir sind also noch ein bisschen inkognito unterwegs, da in Frankreich niemand das Funkgerät und AIS umprogrammieren konnte (oder wollte…). Wir haben das Gefühl, er ist ganz froh darüber, dass Deutsche ankommen und keine Franzosen. Wir hinterfragen das nicht weiter… Der Liegeplatz ist wunderbar ruhig, wenn wir in den Ort wollen, sollen wir uns allerdings beim Militärgebäude abmelden, damit wir auch wieder reinkommen. Wir sind also wirklich direkt im Kasernengebiet. Aber es zieht uns gar nichts in den Ort, es ist schon dunkel, wir haben Hunger und gehen nach dem Essen nur noch auf ein Bierchen ins Offizierskasino. Hier erleben wir ein erstaunliches Szenario! Wir werden gefragt, ob wir drei in einem Haushalt leben. Nö, halt wir zwei und Michi. Okay, sagt die Dame des Hauses, dann muss ich sie leider an zwei getrennte Tische setzen. Wir: äh, wir sind seit geraumer Zeit gemeinsam auf einem Segelboot unterwegs, wenn wir einen Virus haben, dann haben wir ihn alle. Sie: egal, sind die Vorschriften… Naja gut, dann setzen wir uns eben einen Meter auseinander, Vorschriften sind halt Vorschriften und beim niederländischen Militär wohl erst recht 😉.

14.8.2021 Den Helder - Harlingen 32,3sm

Die Planung der Route angesichts Gezeiten und Wetter ist im Wattenmeer nicht so einfach. Ich würde so gerne Terschelling anlaufen, aber da Hochsaison ist, wissen wir, dass die Häfen der Inseln sehr voll sind, vor allem Texel, Vlieland und Terschelling. Quer durchs Wattenmeer Richtung Schiermonnikoog ist es kaum machbar ohne Zwischenstopp auf einer Insel oder trocken zu fallen. Das passt alles irgendwie nicht zu unserer Zeitplanung, da Michi so langsam, aber sicher Hummeln im Hintern bekommt, da sein nächster Skipperjob in Travemünde auf ihn wartet.

So beschließen wir schlussendlich, wenigstens Harlingen anzulaufen und dann zwischen Terschelling und Vlieland wieder raus auf die Nordsee und von da nach Borkum oder Juist zu segeln. Die Fahrt durchs Wattenmeer ist sehr entspannt, der Wind pustet ganz gut, aber die Wellen sind ja doch eher niedlich nachdem was wir bisher erlebt haben 😉. In Harlingen müssen wir vor der Schleuse ins Ortszentrum warten. Wir wundern uns, es ist doch Hochwasser? Wir erfahren, dass Springflut ist und auch dann die Tore geschlossen werden müssen. Eine Stunde warten ist angesagt. Das Hafenbecken vor der Schleuse ist schon gut gefüllt, entsprechend schwierig ist es, einen Anlegeplatz zu finden. Ein Manöver geht schief, weil der Typ auf dem Nachbarboot sich doch lieber mit seinem Bierchen als mit Helfen beschäftigt… sowas kann ich ja leiden… Schlussendlich liegen wir dann doch sicher an der Hafenmauer und warten auf die Schleusenöffnung. Mich holen ein wenig die Erinnerungen an meine ersten Segelerfahrungen ein. Hier in Harlingen hab ich 1992 das erste Mal in meinem Leben ein Segelboot betreten, fast genau auf dem Platz, an dem wir jetzt liegen. Die gute alte Pollux war ein klassisches holländisches Plattbodenschiff, eine Tjalk. Seitdem ließ mich der Segelvirus nicht mehr los, gute Jahre haben wir auf der Pollux erlebt. Damals waren uns die Yachtis, wie wir sie heute sind, noch sehr suspekt, all diese reichen, alten Schnösel… 😆

Die Schleuse öffnet, alle machen sich auf den Weg, wir schließen uns der Reihe an und sind baff: es ist so eng im Kanal, dass wir mit unserem 13,80m Schiff ganz sicher nicht drehen können. Also müssen wir vorwärts rein, an einer anderen Yacht längsseits gehen und für den nächsten Morgen auf ein Wunder oder gutes Karma zur Rückwärtsfahrt aus dem Kanal hoffen… Mit vielen Fendern sollte das schon irgendwie machbar sein. Eine andere Chance haben wir auch gar nicht.

Harlingen ist eine typische holländische Hafenstadt, wir schlendern gemütlich durch den Ort und genießen ein wenig Urlaub. Der Hunger und Bierdurst packt uns, wir setzen uns draußen an einen Tisch und sind erneut baff: das Restaurant darf keinen Alkohol ausschenken. Also gibt es alkoholfreies Bier und einen kleinen Snack. Das hab ich in Holland auch noch nicht erlebt - kein Bier!!

Der Tag klingt entspannt an Deck aus, auf einmal gibt es neben uns einen enormen Platsch, wir und auch die Nachbarn springen erschrocken auf, wer da in den Kanal gefallen sein könnte? Im gleichen Moment hören wir Kinderlachen und Juchzen, die Kids vom Boot gegenüber sind spontan noch baden gegangen und haben höllischen Spaß 😄.

15.8.2021 Harlingen - Borkum 88,0sm

Die Wettervorhersage gibt Grund zur Sorge, ein ordentlicher Sommersturm ist im Anmarsch. Wir entscheiden uns, schnellstmöglich nach Borkum zu segeln, um dort im gezeitenunabhängigen Schutzhafen den Sturm abwettern zu können. So starten wir um 6 Uhr zur ersten Brückenöffnung, die Flut ist zum Glück heute passend zur Stelle.

Das Karma ist auf unserer Seite und die Rückwärtsfahrt durch den Kanal ist kein Problem! Der laufende Fender kommt einmal zum Einsatz, aber ansonsten läuft alles wie am Schnürchen. Wir sind nicht die einzigen, die sich auf den Weg machen, hier im Watt richtet sich nunmal alles nach den Gezeiten. Michi bereitet uns ein fantastisches Rühreifrühstück zu und wir dürfen einen wunderbaren Sonnenaufgang im Watt erleben. Es ist windstill, die berühmte Ruhe vor dem Sturm??

Die Passage zwischen Terschelling und Vlieland geht schnell vorüber, die Nordsee präsentiert sich heute wie ein sanft wogender Teppich. Wir sind nicht alleine, Schweinswale, Seehunde, Seeschwalben, Möwen und sogar Schmetterlinge sind mit uns unterwegs. Wenn sich die See so trügerisch ruhig und entspannt präsentiert, kann man nicht glauben, dass sie auch so brutal anders sein kann. Wir sind ebenso ruhig, reden nicht viel, meditieren, schauen stundenlang einfach nur aufs Meer. Der Motor tuckert, Segeln ist heute nicht machbar.

Wir rechnen und überlegen, ob wir es tatsächlich noch bis Juist schaffen könnten, aber das Wattfahrwasser zwischen Borkum und Juist sollte man wirklich nur bei Hochwasser passieren. Das ist uns angesichts der Sturmwarnung nun doch zu unsicher, trockenfallen können wir nicht riskieren. Und so passieren wir die schönen holländischen Wattenmeerinseln und entern das erste Mal mit unserem neuen Boot deutsche Gewässer. Ein kleines bisschen Stolz kommt auf, ab hier können wir auch ein wenig entspannen und Urlaub genießen, da nun eine einfache Heimfahrt von überall aus machbar ist.

Wir kommen so gerade eben bei wenig Wind auf Borkum an und es ist, als würde ein Schalter umgelegt. Auf einmal sind schon 20kn Wind und die Boote, die nach uns noch reinkommen, müssen für den Anleger schon etwas mehr kämpfen. Wir liegen fest und sicher im Schutzhafen, nun kann der Sturm kommen!