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Race of Alderney, Fischerbojen und Sternenhimmel

8.8.2021 Dielette - Saint-Vaast-la-Houge 56,4sm

Es hilft alles nichts, wir müssen weiter! Es warten noch viele Seemeilen auf uns, also stehen wir früh auf und wagen den Aufbruch. Die Männer sind sich sicher, dass wir das problemlos schaffen, mir ist ein wenig flau im Magen. Aber ich vertraue auf Michis Erfahrung, Bernies unerschütterlichen Optimismus, dem Schiff und seinem kräftigen Motor, meinem eigenen Mut und der Seefestigkeit von uns allen!

Und natürlich geht auch alles gut, wir donnern mit Vollgas aus dem Hafen , da die Welle voll auf der Hafeneinfahrt steht. So schnell es geht setzen wir die Segel, das Groß im zweiten Reff und die kleine Fock. Der Wind weht mit Geschwindigkeiten so um die 20 Knoten, mal ein bisschen mehr, aber nicht mehr dramatisch. Schnell merken wir, dass mehr geht, also nehmen wir das zweite Reff raus und setzen das erste. Immer noch Neuland für uns “Rollgroßsegler”… Es ist mehr Arbeit zu reffen, aber so wie alle erfahrenen Langfahrtsegler sagen: die sicherere Alternative. Und dass ein Rollgroß auch schnell mal zur Gefahr werden kann, haben wir ja schon am eigenen Leib erfahren, auf unserem Törn 2012 im Mittelmeer, als das Großsegel riss und in Fetzen im Mast hing. Mit der Najad ist das zum Glück nicht passiert, es war aber auch ein anderes Rollsystem.

Aber nun stehen die Segel und Tabaluga rennt. Und rennt. Und rennt!! Mit bald unfassbaren 16 Knoten über Grund rasen wir durch die Straße von Alderney, auch Alderney Races genannt. Diese Passage ist nur möglich, wenn man den Gezeitenstrom perfekt erwischt. Früher musste man aufwändig Gezeitenkalender studieren und seine Route planen. Heute können wir Dank einer super App auf dem iPad den richtigen Zeitpunkt planen und wir erwischen ihn perfekt. Eine aufgewühlte See und fiese Grundseen schütteln uns durch, zwischendurch starten wir noch den Motor zur Unterstützung, aber wir schaffen es ohne Seekranke zu beklagen! Nachdem wir das Cap Hague passiert haben, kommen ruhige Wasser und ein gemütliches Schaukeln vor dem Wind. Wow, was eine aufregende Passage!

Cherbourg lassen wir also steuerbord liegen und steuern Saint-Vaast-la-Hogue an. Die Hafeneinfahrt von Saint-Vaast schaffen wir so gerade eben noch, sie warten auf uns und lassen das Schleusentor 15min länger offen. Immer noch kommen starke Böen reingeweht. Ein kleiner Fahrfehler des Skippers und Tabaluga dotzt ungünstig genau auf die Ecke vom Steg - die erste Beule ist drin im schönen Aluminiumrumpf! Hoffentlich dann auch die vorerst letzte, man muss ja alles einweihen und seine persönliche Markierung setzen 🙄… Wir machen noch einen Rundgang durch das wunderschöne Örtchen, trinken ein Bier und essen in Ruhe an Bord.

Absolut faszinierend ist die Aussicht auf die nun trockenfallende Bucht und die vorgelagerte Insel Tatihou, auf der ein Amphibienfahrzeug die Versorgung aufrecht erhält und natürlich Touristen hinüber fährt. Im NDR Fernsehen gab es sogar einen Bericht darüber 😊.
https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/mare_tv/Lieblingskueste-Frankreichs-Westen,sendung1137828.html

Etwas später klebt an Backbord auch der erste Drache und die Namen sind auch am Bug. Nun ist alles ruhig, endlich. Mir fallen die Augen zu und ich kann nicht mehr schreiben…

9.8. - 10.8.2021 Saint-Vaast-la-Houge - Nieuwpoort (Belgien!!) 197sm

Wir beginnen den Tag ruhig mit Dusche und ausgiebigem Frühstück und warten auf das Öffnen des Schleusentores und tuckern dann gemütlich los. Wir planen durchzusegeln bis Dieppe, vermutlich über Nacht, da es wenig Sinn macht, nach Le Havre in die Bucht hinein zu segeln und dann mit Mühe wieder hinaus. Das Wetter soll ruhiger werden, weniger Wind, aber immer noch aus Südwest. Wir haben genug zu essen an Bord, Dieppe ist zu allen Zeiten erreichbar, das wird schon klappen. 

Gegen 11 Uhr setzen wir die Segel, zunächst Groß und Genua, dann versuchen wir es mit beiden Vorsegeln im Schmetterling. Das klappt dann wieder Erwarten gut, wenn man sich konzentriert, ruhig zu steuern. Die alte Tabaluga war schwerfälliger und dadurch auch fehlerverzeihender. Irgendwann stellt Bernd dann doch den Autopiloten ein, als ich keine Lust mehr habe, zu steuern. Ich lege mich ein bisschen aufs Ohr, als ich auf einmal ein gepflegtes „SCHEISSE“ aus Richtung Steuermann höre. Was ist denn nun los? „Wir haben ne Fischerboje gefangen!!“ Und tatsächlich, so eine blöde, knallrote Boje hat sich am Backbord-Ruder verfangen, nimmt uns die Fahrt und wir hängen wirklich fest! Segel runter, was nun? Wir haben noch ordentlich Seegang, die Boje löst sich nicht und wir sind einen Moment ratlos. Wir sehen, dass wir an der Leine zwischen Boje und einem im Wasser schwimmenden Kanister hängen, müssen also diese Leine irgendwie kappen. Erste Versuche, sie mit Bootshaken und anderer Leine von Bord aus zu fangen, scheitern. Letztendlich bleibt nur die Chance, vom Heck aus den Kanister zu fangen und dann die Leine zu kappen. Bernd und Michi wagen sich auf die Heckplattform, werden nass bis auf die Haut, schaffen es aber mit vereinten Kräften und dem Messer, was ich aus der Pantry hole, die Leine zu kappen. Zack und sofort taucht auch zum Glück die Boje wieder auf und wir sind frei. Selbst ohne Segel machen wir sofort wieder 2kn Fahrt durch Wellen und Wind von hinten. Wir brauchen einen Moment, um uns zu sammeln. Bernd und Michi brauchen trockene Klamotten, ich hab lediglich nasse Füße. Einen kurzen Moment lang hab ich mit einer Panikattacke gekämpft, aber letztendlich waren wir nie in Gefahr. Um uns herum war nichts und niemand, mit dem wir hätten kollidieren können, das Ruder war nicht beschädigt, letztendlich war halt nur das Problem, dass wir nicht vor und zurück kamen. Dennoch: ein weiteres Kapitel Erfahrung, die Wahrscheinlichkeit, genau über die Boje zu fahren war vermutlich ähnlich groß wie ein Lottogewinn. Beim nächsten Treffer hätte ich dann bitte genau den 🤑. Nach diesem Schreck stellen wir dann auch noch fest, dass eine Bierflasche im Kühlschrank aufgegangen ist. Also heißt es putzen und den Rest des Bieres trinken, was wir durchaus als verdient empfinden.

Der Wind lässt mehr und mehr nach, wir starten dann doch den Motor. Wir beschließen, Dieppe nicht anzusteuern, sondern weiter die Küste entlang zu schippern. Mitten in der Nacht in Dieppe anzukommen, macht wenig Sinn, dann können wir auch gleich weiterfahren. Ein nahezu perfekter Sonnenuntergang und eine große Portion Nudeln mit Würstchen geben uns Mut und Kraft für die erste Nachfahrt. Jeder soll zwei Stunden Wache schieben und dann vier Stunden schlafen. Leider ist der Schlaf recht unruhig, da durch den Starkwind der letzten Tage die Welle noch ganz ordentlich in den Kanal reinläuft. 

Ich starte meine Wache um Mitternacht, Sternenhimmel und guter Musik. Wow, ein Traum! Es ist nicht kalt, nur der Mond lässt sich nicht blicken, der fehlt jetzt noch für eine perfekte Kulisse. Einmal muss ich den Kurs ein bisschen anpassen, da eine Fähre kreuzt, ansonsten gibt es keine besonderen Vorkommnisse. Die Nacht bleibt ruhig, es fängt leider an zu regnen. Wir sind aber so gut unterwegs, dass wir Calais am frühen Morgen passieren, Frankreich rechts und England links liegen lassen.

Nach dem Cap wird die See ruhiger, der Wind bleibt komplett weg. Und so tuckern wir weiter und weiter und schaffen es tatsächlich bis über die belgische Grenze und fahren nach Nieuwpoort rein. Das ist ein riesiger Hafen, wir finden erst gar keinen Gästeplatz, aber immerhin die Tanke. Diesel rein, Tabaluga ist schon mal zufrieden.

Wir brauchen jetzt allerdings dringend Bier und was Anständiges zu essen. Wir finden einen Liegeplatz, was allerdings wohl doch kein Gästesteg ist, ist uns jetzt aber auch egal, es ist Platz genug. Ein netter Belgier bietet uns an, uns seine Zutrittskarte zum Steg bis morgen zu überlassen und wir danken ihm wirklich sehr. Er fragt: seid ihr das mit der Ovni? Tolles Schiff, ein Freund hat auch eine, da drüben liegt sie, mit der bin ich auch schon gesegelt! Also wieder eine Begegnung der neu entdeckten Ovni-Gemeinde 😊. Da heute tatsächlich schon unser zweiter Hochzeitstag ist, schlucken wir nur kurz, als wir die Preise im Hafenrestaurant sehen und finden, dass wir es uns einfach verdient haben. Steak und Fisch vom Feinsten, der Tag nimmt ein wunderbares Ende und auch das Wetter sieht vielversprechend aus!

11.8.2021 Nieuwpoort - Blankenberge 20,5sm

Das Schiff sieht aus wie… naja, durcheinander halt nach einer Nachtfahrt… Ich brauche jetzt mal Ordnung und ein wenig Sauberkeit und teste die Waschmaschine an Bord! Jahaa, wirklich, wir haben eine kleine Waschmaschine an Bord! Und - sie funktioniert. Socken, Unterhosen und Geschirrtücher müssen für den ersten Test herhalten und alle überleben. An Deck aufgehängt trocknet alles in kürzester Zeit dank Wind- und Sonnenenergie.

Bernd und ich leihen uns Fahrräder und radeln zumindest einmal in die Stadt, zu Fuß wäre es von dem Hafen aus wirklich zu weit gewesen. Die „Waterfront“ dieser belgischen Küstenstädte ist architektonisch wirklich keine Meisterleistung, Hochhäuser, breite gepflasterte Wege vor dem Strand, irgendwie alles nicht so richtig schön. Es ist voll, die Menschen sitzen draußen in den Restaurants, von Corona zum Glück nicht mehr viel zu spüren. Wir erkunden noch ein wenig die Altstadt, die wirklich schön ist, hier ist es allerdings menschenleer…

Um noch ein paar Meilen zu schaffen heute, segeln wir bei herrlichem Wetter los Richtung Zeebrügge. Es gibt einen kleineren Hafen kurz vor Zeebrügge, der uns mehr zusagt, als der große Industriehafen.

Im Hafen Blankenberge liegen wir gezeitenunabhängig an Schwimmstegen zwischen Häusern geschützt. Da es schon spät ist, wollen wir nur noch essen, duschen und ab in die Koje.

Die Hafengebühr bezahlen wir per App. Danach bekommt man einen Zugang zum Hafengebäude per QR Code, aber der funktioniert nicht! Wir, die IT Fuzzis, sind schon ein bisschen genervt, nicht funktionierende IT ist ein No-Go! Mit Hilfe anderer (und mitleidigen Blicken eines Mannes, der uns vermutlich für zu blöd hält) bekommen wir Zugang zu den Duschen. Mittlerweile ist es 23 Uhr. Ich stehe also mit schon fast geschlossenen Augen in der Damendusche und reibe selbige Äuglein dann mehrfach: um warmes Wasser zu bekommen, muss man BARGELD einwerfen! Münzen!! 2min kosten 50 ct!!! Ich bin fassungslos, alles läuft digital und dann das… Meine Geduld ist am Ende, wir gehen ungeduscht ins Bett, gute Nacht 😠!!